Charmant, locker und mit einem Augenzwinkern: Warum Wien keine Stadt für bloßes Sightseeing ist, sondern ein Erlebnis für alle Sinne, zeigt dir unsere Reisebloggerin Anja Knorr.
Wien ist keine Stadt, die dir beim ersten Date den Kopf verdreht. Sie wirft sich nicht in Schale, um zu gefallen. Im Gegenteil: Sie ist zwar elegant und hat den Charme alter Schule, ist aber auch ein bisschen grantig und kennt ihren Wert ganz genau. Doch wer sich auf die österreichische Hauptstadt einlässt, erlebt zwischen Marmortischen, Pferdehufen, Rooftop-Aussichten und der wahrscheinlich besten Sachertorte der Welt, pure Magie. Deshalb hab ich dir die Top 9 der charmanten Dinge, die du nur in Wien erleben kannst, aufgelistet.
- 1. Die Wiener Würstelstand-Etikette
- 2. Fiaker-Feeling: Kutschenfahrt wie einst Sisi
- 3. Kaffeehauskultur mit Charakter
- 4. Rooftop mit Aussicht
- 5. Der Prater: Achterbahnfahren mit Nostalgie-Kick
- 6. Wie Wien dich mit Gold und Galerien verführt
- 7. Heuriger: Wo der Wein fließt
- 8. Hochkultur zum Taschengeldpreis
- 9. Nachts im Museum
1. Die Wiener Würstelstand-Etikette
Wien hat viele kulinarische Heiligtümer, aber der Würstelstand ist etwas ganz Besonderes. Hier trifft sich die Stadtgesellschaft auf engstem Raum: Bauarbeiter, Banker, Nachtschwärmerinnen, Opernbesucher, Grantler, Touristen stehen nebeneinander und essen, reden und trinken. Dabei ist der Würstelstand ein soziales Biotop mit ungeschriebenen Regeln. Man spricht, wenn man will. Und man schweigt, wenn es passt. Alles ist erlaubt, solange es nicht zu aufgesetzt freundlich ist. Small Talk funktioniert hier nicht nach amerikanischem Vorbild, sondern nach dem Motto: ein bissl granteln verbindet.
Die Sprache der Wurst: Wer eine „Eitrige“ verlangt, bekommt ein Käsekrainer, der außen knackig und innen käsig-deftig ist. Dazu bestellt man stilecht ein „16er-Blech“, also ein Ottakringer Bier aus der Dose. Optional ergänzt mit einem „Scharfen Senf“ und einer Semmel.
2. Fiaker-Feeling: Kutschenfahrt wie einst Sisi
Es gibt Dinge in Wien, die auf den ersten Blick nach Touristenfalle schreien und sich auf den zweiten als eine romantische Liebeserklärung an die Stadt entpuppen. Eine Fahrt mit dem Fiaker gehört genau in diese Kategorie. Teuer und kitschig, aber wenn du erst einmal unter der warmen Decke sitzt, das Klappern der Hufe durch die schmalen Gassen hallt und der Fahrer Anekdoten in bestem Wiener Schmäh erzählt, dann ist das kaiserliche Nostalgie pur.
Fahrt im Fiaker durch historische Gassen
Woher der Fiaker seinen Namen hat
Der Begriff „Fiaker“ stammt ursprünglich aus dem Französischen von der Rue de Saint Fiacre in Paris, wo einst die ersten Mietkutschen standen. In Wien gibt es sie seit dem 18. Jahrhundert, und sie sind heute rollendes Kulturgut. Die streng lizenzierten Kutscher sind Stadtführer mit Zylinder, oft mit einem trockenen Humor, der so nur in Wien gedeiht.
Die klassische Route führt vom Stephansdom über die Hofburg, vorbei an der Albertina, durch das Burggartenviertel bis zur Oper. Während das Pferdegespann die Innenstadt umrundet, fühlte ich mich ein wenig wie in einem historischen Film.
Mein Tipp: Viele Kutscher erzählen gerne über ihr Wien mit Schmäh, Charme und Detailwissen. Frag mal nach, wo’s den besten Apfelstrudel gibt oder welcher Promi zuletzt mitgefahren ist.
3. Kaffeehauskultur mit Charakter
Wiener Kaffeehäuser sind mehr als nur Orte zum Koffeinkonsum. Sie sind Wohnzimmer, Schreibstube, Theatersaal und Zeitmaschine in einem. Nirgendwo sonst auf der Welt kann man so lange an einem Tisch sitzen, ohne jemals schief angesehen oder hinauskomplimentiert zu werden.
Denn hier herrschen eigene Regeln, eigene Begriffe und ein ganz besonderer Umgangston. Wiener Kaffeehäuser sind Tempel der Entschleunigung. Hier wird nicht schnell was getrunken, hier wird residiert. Es ist völlig legitim, mit einem einzigen Getränk stundenlang dazusitzen, zu lesen, zu schreiben oder einfach zu beobachten. Zeitungen gibt’s auf Holzlatten, die Möbel sind oft seit Jahrzehnten dieselben und genau das macht den Reiz aus.
Bis heute spürt man in Häusern wie dem Café Central, dem Sperl, dem Landtmann oder dem Hawelka diesen Hauch von Vergangenheit und kann sich leicht Sigmund Freud versunken in eine Zeitung vorstellen.
Wer hier „Latte Macchiato“ bestellt, hat schon verloren. In Wien trinkt man eine Melange, einen Kleinen Braunen oder einen Verlängerten. Der Herr Ober kommt, wenn er will und nicht, wenn du winkst. Und wenn er grantelt, ist das kein Zeichen von Unfreundlichkeit, sondern fast schon ein Wiener Liebesbeweis.
4. Rooftop mit Aussicht
Wien zeigt dir erst aus der Vogelperspektive sein wahres Gesicht: rot-graue Dächer, grüne Kirchturmspitzen, der Stephansdom, der alles überragt, und dahinter die Donau, die sich gemächlich durch die Stadt schlängelt.
Besonders beliebt ist die Atmosphere Bar auf dem Ritz-Carlton: edel, urban, mit freiem Blick über die Ringstraße. Etwas cooler und entspannter ist das Lamée Rooftop, wo die Mischung aus Design, Drinks und Stephansdomblick fast schon absurd perfekt ist. Und dann wäre da noch das lässige Oben, ein Rooftop-Café am Dach der Hauptbücherei.
5. Der Prater: Achterbahnfahren mit Nostalgie-Kick
Der Wiener Prater ist ein Ort, der alles kann: Kitsch und Kunst, Adrenalin und Andacht, Zuckerwatte und Würstel. Das ehrwürdige, langsam rotierende Wiener Riesenrad wurde 1897 erbaut und ist eines der ältesten der Welt. Die 20-minütige Fahrt ist wie ein Zeitraffer durch die Seele der Stadt. Der Blick über Wien, das leichte Knarzen der Holzgondel und eine unerklärliche Ruhe.
Der Vergnügungspark-Teil, liebevoll Wurstelprater genannt, ist kein Hochglanz-Freizeitpark wie anderswo. Hier quietscht und blinkt es noch so, wie man es von früher kennt. Das macht seinen Charme aus. Es gibt Achterbahnen, Geisterbahnen, Wurfspiele, Schießbuden, billige Preise und echtes Lachen.
6. Wie Wien dich mit Gold und Galerien verführt
Zwischen barocken Sälen, minimalistischen Kuben und Kunsthallen mit Größenwahn findest du hier keine trockene Wissensvermittlung, sondern Erlebnisse, die unter die Haut gehen.
Das bekannteste Museumsartefakt Wiens ist wohl Gustav Klimts „Der Kuss“ im Belvedere. Dieses goldschimmernde und sinnliche Bild hat mehr Instagram-Posts als manche Influencerin, aber: live ist es noch kitschig-schöner eingebettet inmitten barocker Architektur, Marmorsäle und einem tollen Ausblick auf Wien.
Im Leopold Museum geht’s dann in die Tiefe: Egon Schieles radikale Intimität trifft auf Wiener Moderne.
Einige wenige Utensilien aus Freuds Zeit im Display
Mein persönliches Highlight ist das Sigmund Freud. Ich saß in seinem ehemaligen Wartezimmer und spürte, dass hier ein neuer Zeitgeist erfunden wurde und vielleicht ein bisschen auch die Wiener Neurose.
7. Heuriger: Wo der Wein fließt
Der „Heurige“ ist keine Weinbar. Er ist ein Lebensgefühl. Ein soziales Ritual und eine Einladung, die Wiener Seele unfiltriert zu erleben samt Grüner Veltliner, Liptauerbrot und einer Portion grantigem Charme.
Was ist ein Heuriger überhaupt?
Ein „Heuriger“ ist ursprünglich der Ausschank des selbstproduzierten Jungweins der Winzer, also des „heurigen“ (= diesjährigen) Weins. Nur Betriebe mit eigener Produktion dürfen sich „Heuriger“ nennen. Das Ganze findet meistens in gemütlichen Gastgärten, mit Lauben, Holzbänken und viel Grün drumherum statt wie in Grinzing oder Sievering, den traditionellen Heurigenorten am Rande Wiens.
Mein Tipp: Vor oder nach dem Heurigenbesuch solltest du einen kleinen Spaziergang durch die umliegenden Weinberge unternehmen. Der Blick auf Wien ist unbezahlbar.
8. Hochkultur zum Taschengeldpreis
In kaum einer Stadt der Welt ist klassische Musik so allgegenwärtig und gleichzeitig so erschwinglich. Denn anders als oft angenommen, musst du für einen Abend voller Arien, dramatischer Tode und tosender Bravos nicht dein Monatsgehalt opfern. In Wien geht Hochkultur auch mit schmalem Budget. Und manchmal sogar ganz umsonst.
Stehplatzkultur in der Staatsoper
Stehplatzkultur in der Staatsoper: 4 Euro Gänsehaut
Für gerade einmal 4 Euro bekommst du an der Abendkassa einen Stehplatz in der Wiener Staatsoper. Und das nicht irgendwo ganz hinten, sondern mit direktem Blick auf Bühne und Orchestergraben.
Mein Tipp: Wer früh kommt, ergattert die besten Plätze (Einlass für Stehplätze meist 80–90 Minuten vor Beginn). Mit einem Schal reservierst du deinen Platz an der Brüstung.
Oper live am Platz – gratis, draußen, großartig
Du willst lieber sitzen? Während der Frühlings- und Sommermonate werden zahlreiche Vorstellungen live auf eine Großleinwand vor der Staatsoper übertragen mitten auf dem Opernplatz, bei freiem Eintritt.
Spaziergang durch alte Wiener Gassen
9. Nachts im Museum
In Wien kannst du auch noch abends ins Museum gehen wie beispielsweise in das MuseumsQuartier (MQ), eines der größten Kulturareale Europas. Im Sommer sitzen Menschen auf den bunten Möbelskulpturen, trinken Spritzerund reden über Kunst oder das Leben. Viele Museen wie das Leopold Museum oder das mumok bieten regelmäßige Late-Night-Events mit Live-DJs, Kuratorenführungen oder sogar Silent Discos.
Ein paar Highlights für Cocktailbars sind:
- Kleinod Stadtgarten – botanischer Flair im Sommer, urbaner Chic im Winter
- Loos Bar – legendär, minimalistisch, von Adolf Loos gestaltet, mit nur 27 Quadratmetern
- If Dogs Run Free – kreativ, verspielt, kunstvoll gemixt
Mein Fazit zu Wien
Wer einmal Wien besucht hat, will mehr von den Würstelständen mit Stil, grantelnden Kellnern mit Herz, Kaffeehäusern als Zeitmaschinen und Opern für 4 Euro. Zwischen Fiakern und Filzgleitern, Stehplätzen und Stephansdomblick, Museumsnächten und versteckten Bars entfaltet sich ein Wien, das alt und neu, schrullig und schön, vertraut und doch völlig eigen ist.
