Faszination Klettern: Hoch hinaus in Hessigheim

Was macht die Faszination beim Klettern aus? Unsere Autorin Marlen Stöhr klettert seit drei Jahren, allerdings bisher immer in der Halle. Die Türme der Hessigheimer Felsengärten in der Region Stuttgart ragen senkrecht nach oben. Hoch über dem Neckar wagt sie sich dort zum ersten Mal ans Outdoor-Klettern.

Ganz schön hoch hier! Bis zu 18 Meter ragen die Felsbrocken der Hessigheimer Felsengärten in die Höhe. Mir ist mulmig zu­mute. Es ist das erste Mal, dass ich mich an eine Kletterwand im Freien wage. In der Halle sieht alles viel übersichtlicher aus: Da gibt es farbig markierte, vorgesteckte Routen an den Wänden und auf dem Boden Matten, die mich im Notfall auffangen würden. Hier muss ich mich auf das einlassen, was die Natur mir vorgibt: steile Wände, rissiger Stein, Felsvorsprünge. Etwa 130 Routen gibt es in dem 500 Meter langen Felsareal, das inmitten eines Weinbaugebiets über dem Neckartal thront. Seit über 100 Jahren sind die Hessigheimer Felsengärten als Klettergebiet erschlossen, damit gehören sie zu den traditionsreichsten Kletterarealen Baden-Württembergs. Profi muss keiner sein, um hier klettern zu können.

Kletterschulen in der Umgebung und der Deutsche Alpenverein nutzen das Terrain für Grundkurse, bei denen Anfänger lernen, selbstständig am Fels unterwegs zu sein. Ich bahne mir meinen Weg durch die enge Schlucht, die mit ihren knorrigen Bäumen fast schon mystisch aussieht, gucke an den markanten Felsblöcken hoch und suche nach einer geeigneten Route. Vom 3. bis zum 9. Grad reichen die Schwierigkeitsstufen, für den Einstieg genügt mir eine der leichteren Routen. Bevor ich mich an die Wand wage, lese ich sie – ich male mir also aus, wie ich die Route klettern werde: Ich halte Ausschau nach Rissen und anderen Unebenheiten im Fels, die mir als Griffe dienen könnten, und suche die Wand nach Felsvorsprüngen ab, an denen ich mich hochziehen kann.

Kletterin beim Sichern ihrer Ausrüstung, stehend vor einem großen Felsen in Hessigheim in Deutschland

Gleich geht es los, die Aufregung steigt | ©Gregor Lengler

Das Besinnen auf den eigenen Körper

Es ist wie das Enträtseln eines Puzzles. Nur: Beim Klettern gibt es kein Richtig und kein Falsch. Während ich noch überlege, meistert ein sichtlich geübterer Kletterer die Route auf Anhieb. Doch er ist anders gebaut, kann höher greifen, sein Gewicht anders verlagern. Für mich muss es einen anderen Weg geben. Es ist das Besinnen auf den eigenen Körper, was mich am Klettersport so fasziniert. Beim Klettern geht es nicht ums Gewinnen, sondern darum, über sich selbst hinauszuwachsen. Sitzt der Knoten? Kann ich mich auf meinen Kletterpartner verlassen? Was, wenn mich die Kraft verlässt und ich es nicht bis ganz nach oben schaffe? Kurz bevor es losgeht, beschleichen mich Zweifel. Doch für einen Rückzieher ist es zu spät. Die ersten Griffe sitzen, der Abstand zum Boden wird immer größer. Jetzt muss ich mich konzentrieren, denn meine zuvor ausgedachte Route geht nicht auf. Eine Ausbuchtung im Fels ist zu weit weg, als dass ich mich daran hochziehen könnte. Ich taste den Fels ab, und wo immer ich eine Möglichkeit zum Greifen vermute, packe ich zu.

Und auf einmal bin ich oben. Was für eine Aussicht! Unter mir der Neckar, der sich sanft durch die Wiesen und Felder des Tals schlängelt, drum herum die mit Wein bewachsenen Hänge, die bis zur Schlucht der Hessigheimer Felsengärten ragen, die im Volksmund auch liebe­voll Schwäbische Dolomiten genannt werden. Jetzt erst sehe ich, wie viel hier wächst: Oben am Fels Flechten und Gräser, weiter unten ranken Wildrosen am Stein empor. Hier, im Einklang mit der Natur, spüre ich der Anstrengung nach und höre meinem Atem dabei zu, wie er sich langsam beruhigt. Ansonsten ist es ganz still hier. Und meine Ängste und Zweifel? Sie sind auf einmal wie weggeblasen.

Drei Wanderer oben auf dem Felsen genießen den Blick auf die schöne Landschaft in Hessigheim in Deutschland

Der Lob für die Anstrengung! | ©Gregor Lengler

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